Die Auslegung von letztwilligen Verfügungen spielt in der täglichen Praxis der Rechtsanwendung eine entscheidende Rolle. Je genauer die Formulierung in einem Testament ist, desto weniger Raum für eine Auslegung verbleibt. So dachte es sich im Fall des Brandenburgischen Oberlandesgerichts (OLG) auch der Sohn einer Erblasserin, als dieser einen Erbschein beantragte, der ihn als namentlich benannten Alleinerben auswies.
Die Erblasserin hatte mit ihrem Ehemann aus zweiter Ehe ein Testament errichtet, in dem die beiden Söhne namentlich als Schlusserben eingesetzt worden sind. Vor dem Tod der Erblasserin war ein Sohn bereits verstorben. Dies veranlasste das Nachlassgericht dazu, den bereits erteilten Alleinerbschein mit der Begründung einzuziehen, dieser sei offensichtlich unrichtig, da neben dem verbliebenen Sohn der Erblasserin auch der Sohn des vorverstorbenen Schlusserben – der Enkel der Erblasserin – Miterbe geworden sei. Hiergegen wendete sich der Sohn der Erblasserin jedoch erfolglos.
Zuwendungen an einen Abkömmling werden kraft Gesetzes im Zweifel auf dessen Abkömmlinge erstreckt, wenn der ursprünglich Bedachte nach Errichtung des Testaments weggefallen ist. Das Gesetz geht davon aus, dass der Erblasser den Bedachten in erster Linie wegen seiner Eigenschaft als Abkömmling eingesetzt hat, weshalb auch die Erstreckung auf dessen Abkömmlinge der gesetzlichen Vermutung entspricht. Das OLG konnte daher keine Gründe feststellen, die gegen eine solche Vermutung sprechen.
Hinweis: Will ein Erblasser genau diesen Eintritt der gesetzlichen Vermutung verhindern, muss dies ausdrücklich im Testament erklärt werden.